Revival einer Rekordfahrt

The Cannon Ball Centennial Ride

Im Jahr 1914 durchquerte Erwin Baker auf einer Indian in Rekordzeit die Vereinigten Staaten. Die Unternehmung machte ihn zur Legende und brachte ihm den Spitznamen »Cannonball« ein. Hundert Jahre nach der Rekordfahrt möchte Ex-Rennfahrer Don Emde die historische Strecke nachfahren.

1951 in San Diego geboren, dort, wo auch Baker Richtung New York aufbrach, fuhr Emde früh Rennen, zunächst Dirt Track, dann auch Straßenrennen. Sein größter Erfolg als Profi war der Gewinn der Daytona 200 im Jahr 1972 auf einer 350er Zwei-Takt-Yamaha. Ein Erfolg, der offenbar genetisch angelegt war, nicht nur weil sein Großvater, ein Motorradpolizist, bereits Rennen fuhr, auch sein Vater Floyd Emde hatte die Daytona 200 bereits gewonnen, 1948 auf einer Indian. Auf einem Foto von diesem Erfolg des Vaters ist auch der Indian-Fahrer Erwin Baker zu sehen, dieses historische Foto war der Beginn von Don Emdes »Cannon Ball Projekt«.

Seit Ende seiner Profi-Laufbahn ist Emde Herausgeber von Motorrad-Fachblättern wie »Parts Magazine« und »Drag Specialties Magazine« sowie Autor des Buchs »The Daytona 200 - The History of America's Premier Motorcycle Race«. Don Emde lebt in Kalifornien, seine Leidenschaften neben Motorrädern sind seine Familie, Barbeque und Camping in der Wüste.

  Der Ex-Rennfahrer und Autor Don Emde will Bakers historische Strecke mit einer KTM 990 nachfahren.Don, wann hast Du zum ersten Mal von Erwin Baker und seinen fabelhaften Rekorden gehört?So weit ich mich erinnere, habe ich zum ersten Mal von meinem Vater etwas über Erwin Baker erfahren. Baker war 1948 in Daytona, als mein Vater Floyd Emde auf einer Indian die Daytona 200 gewann. Baker gehörte zu einer Gruppe von Indian-Enthusiasten, die für ein gemeinsames Foto posierten. Dieses Foto fiel mir eines Tages in die Hände und ich wollte von meinem Vater wissen, wer die Leute auf dem Foto waren. So bekam ich einen ersten Eindruck, wer Baker war und was er als Motorradfahrer geleistet hatte. Baker ist berühmt für weit über 100 Rekorde. Was ist das Besondere an seinem Rekord vom Mai 1914?Dass es der erste transkontinentale Motorradrekord war. Das macht ihn sehr speziell. Wie verliefen Recherchen und Vorbereitungen, um hundert Jahre später dieselbe Route in derselben Zeit zu fahren?

Ich habe eine sehr große Sammlung an historischem Material zu Motorrädern und zur Geschichte des Motorradfahrens. Vor zwanzig Jahren habe ich ein Booklet erworben, dass 1914 von der Indian Motorcycle Company herausgegeben wurde. Darin ist ein großer Artikel zu Bakers Küste-zu-Küste-Rekord. Ich habe das Booklet einmal durchgeschaut und dann weggelegt. Vor ein paar Jahren erfuhr ich von einer Motorradtour quer durch Amerika unter dem Namen „Motorcycle Cannonball Run“. Gefahren werden sollte von der Ost- zur Westküste auf einer Route, die die Organisatoren ausgearbeitet hatten, und zwar auf historischen Motorrädern aus der Zeit bis 1916. Diese Tour sollte 17 Tage dauern.
  Rekonstruktion der historischen Strecke.

Ich wollte zunächst mitfahren und kannte auch Leute, die dabei waren, doch dann fehlten mir leider sowohl die Zeit dazu als auch eine geeignete Maschine. Aber eine Sache ließ mich nicht mehr los und hatte sich in meinem Kopf festgebrannt: Die genannte Zeit. Ich war mir ganz sicher, dass Baker weniger als 17 Tage gebraucht hatte. Ich habe also das Booklet wieder hervorgeholt und tatsächlich, es waren nur elfeinhalb Tage. Da ich das Buch einmal in der Hand hatte, las ich es noch mal ganz durch und fand die Tatsache absolut erstaunlich, dass er an machen Tagen mehr als 300 Meilen geschafft hat, das sind fast 500 Kilometer mit einer 7-PS-Indian-Zweizylinder auf unbefestigten Wegen! Baker fuhr durch Wüstensand und durch den Schlamm des Mitteleren Westens bei Sturm und heftigsten Regenschauern. Das war die Geburtsstunde meines Projekts; ich entschloss, Bakers Route exakt zu rekonstruieren – und im besten Fall nachzufahren.Welche Quellen standen für die Recherche der Originalstrecke zur Verfügung?Meine wichtigste Quelle war zunächst das Booklet, in dem Baker nicht nur seine Rekordfahrt detailliert schildert, sondern auch die Vorbereitungen im Jahr zuvor. Dann beschrieb er den Routenverlauf, so dass ich sehen konnte, an welchem Tag er in welcher Stadt gestartet war, wo er stoppte, um die Nacht zu verbringen, und auch andere Wegepunkte wurden präzise geschildert. Anschließend versuchte ich herauszufinden, welche Straßen Baker zur Verfügung standen. Ich habe mich im Internet auf die Suche nach alten Karten gemacht und ich war in den Historischen Bibliotheken von San Diego, Kansas City, Indianapolis und Columbus. Gleichzeitig habe ich Fotos aus dieser Zeit studiert. Dann habe ich ein erstes Vor-Projekt auf die Beine gestellt, um mit Motorrädern, die uns von KTM bereit gestellt wurden, durchs Land zu fahren und zu schauen, welche historischen Strecken noch existieren und wo inzwischen moderne Straßen an ihre Stelle getreten sind.Wer sind die wichtigsten Partner beim Cannon Ball Project?KTM hat und zwei Adventure 990 zur Verfügung gestellt. Als Herausgeber von Magazinen für Motorradzubehör habe ich eine Story gemacht, die wir »Project Bike« genannt haben. Für die Story haben wir die beiden Maschinen unterschiedlich ausgerüstet; die eine als Top-of-the-Line-Maschine mit den teuersten und ausgefeiltesten Accessoires, die andere mit Zubehör von der Stange für ein kleineres Budget. Während ich das eine Motorrad fahre, sitzt Joe Colombero auf dem anderen, einer meiner Autoren, der mich bereits bei vielen Fahrten von Kalifornien zur Ostküste begleitet hat, bei denen wir die Karten geprüft und bearbeitet haben.Was ist der Gedanke hinter dem Cannon Ball Project?Mein Ziel ist, die Geschichte von Erwin Bakers Fahrt quer durch Amerika im Jahr 1914 nachzuerzählen. Zu dieser Zeit war keiner schneller von Küste zu Küste unterwegs. Sowohl sein Durchhaltevermögen als auch das seiner Maschine stellt eine unglaubliche Leistung dar. Als eine Art Nebengeschichte zeige ich die Entwicklung der Straßen Amerikas: Was mit staubigen Pfaden um 1800 für pferdegezogene Wagen begann, entwickelte sich über schmale Wege für Autos und Motorräder zu den modernen Highways. Was ist der Unterschied zwischen dem „Motorcycle Cannonball Run“ und deinem »Cannon Ball Project«?Bei dem »Motorcycle Cannonball Run« konnte ich beobachten, dass das Entscheidende beim Fahren mit historischen Maschinen ist, die alten Maschinen am Laufen zu halten. Bei meinem Projekt liegt der Fokus mehr auf der möglichst originalgetreuen Route und darauf, diese Route 2014 im Idealfall ebenfalls in elf Tagen zu schaffen. Ihrer Zuverlässigkeit wegen habe ich mich für moderne Maschinen entschieden. Nicht zuletzt hoffe ich auch im Interesse der Motorradindustrie, dass wir andere Motorradfahrer inspirieren können, diese Route, so wie ich sie rekonstruiert habe, ebenfalls einmal zu fahren. Wie groß sind die Übereinstimmungen von Bakers Route von 1914 und deiner im kommenden Jahr?Unsere Route ist ganz nah an der, die Baker 1914 genommen hat. Die einzige Passage, die wir nicht fahren können, sind die Yuma Proving Grounds in West-Arizona, ein Gebiet, in dem die US-Regierung militärische Ausrüstungen entwickelt und testet – Bomben inklusive. Wir müssen aber nicht stark abweichen, sind schnell zurück auf der Originalroute und fahren dann weiter über Feldwege Richtung Phoenix. Insgesamt sind die Routen weitgehend deckungsgleich, wenn auch viele der unbefestigten Strecken von einst heute ausgebaute Straßen sind und die Städte immer größer wurden. Doch wir bleiben auf den Landstraßen und nehmen nicht die nahen Interstates als Abkürzungen. Baker hat sich sehr sorgfältig über das Wetter informiert, hat die Wetteraufzeichnungen der letzten zehn Jahre vor seinem Rekordversuch auswerten lassen. Haben diese Daten noch Gültigkeit?Baker hatte einen Freund, der sich mit Wetterprognosen beschäftigte, und der ihn beraten hat, wann er am besten in San Diego starten sollte. Ein mögliches Hindernis war Schneefall in Arizonas Bergen. Auf der anderen Seite wollte Baker aber auch nicht in den heißen Sommermonaten fahren. Wir halten uns an Bakers Plan und starten wie er am 3. Mai 2014 um 9 Uhr. Keine Ahnung, ob es funktioniert. Baker hat 1915 versucht, seinen Vorjahresrekord mit einem Auto zu brechen, aber Schnee in Arizona zwang ihn, eine südlichere Route nach Texas zu nehmen und von dort wieder in nördliche Richtung nach Dodge City zu fahren. Bei unserer Fahrt zum hundertsten Jahrestag von Bakers Rekordfahrt wollen wir es genau so machen wie er; und ich gehe davon aus, dass das Wetter ein ganz entscheidender Faktor werden wird. Wir müssen uns auf starken Regen einstellen und im Mittleren Westen auf Stürme. Sollte es aber ganz schlimm kommen, sollten Tornados oder Gewitter gemeldet werden, dann werden wir den Zeitplan beziehungsweise die Route ändern. Das ist ja das Spannende an dieser Geschichte, zu sehen, wovon heute Fahrer mit den modernsten Maschinen aufgehalten werden können bei dem Versuch das zu schaffen, was dieser Mann 1914 vollbracht hat. Gibt es bereits Pläne für ein weiteres Projekt dieser Art?Meine Absicht ist, im Anschluss ein Buch über unser Projekt zum Hundertsten von Bakers Rekord zu schreiben und herauszugeben. Alle Materialien, die ich für das Projekt zusammen getragen habe und alles, was ich selbst ausgearbeitete habe, werden darin eingehen. Deshalb gibt es momentan keine Pläne über das „Cannon Ball Project“ hinaus. Aber ich lasse mir alle Optionen offen.Nach ausführlichster Beschäftigung mit Erwin »Cannon Ball« Baker – was war er für ein Typ?

Ich habe zwei Jahre lang seine Fahrt von 1914 recherchiert. Ich habe einen gewaltigen Respekt vor seinem Mut, auf eigene Faust aufzubrechen zu Fahrten, die er  – unterstützt von seiner Frau – ebenfalls auf eigene Faust ausgearbeitet hat. Er hatte  außergewöhnliche physische Steherqualitäten. Damit meine ich nicht nur Muskelkraft. Baker hatte in Arizona extreme Hitze auszuhalten, er absolvierte am Tag 300 Meilen auf einem harten Ledersitz, auf dem er oft mehr als zwölf lange  Stunden saß. Manchmal fuhr er bis weit in die Nacht. Nicht zuletzt seine akribische Vorbereitung und die Berücksichtigung der meteorologischen Gegebenheiten – was die ganze Logistik angeht, war Baker seiner Zeit sehr weit voraus. Ganz zum Schluss zur Klärung: Cannonball wird wahlweise in einem Wort geschrieben oder getrennt – welche Schreibweise ist denn jetzt richtig? Baker hat seine Autogrammkarten mit »Cannon Ball« unterschrieben, später wurde dieser Name ein geläufiger Begriff für Trips quer durchs Land, da allerdings als ein Wort geschrieben: »Cannonball«. Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass das mit dem Film »Cannonball Run« von 1976 zusammenhängt. Der Produzent wollte Urheberrechtsstreitigkeiten mit Bakers Familie vermeiden. Deshalb die andere Schreibweise, die auch heute noch beim »Motorcycle Cannonball Run« verwendet wird. Das sind großartige Veranstaltungen, doch um Missverständnisse und Verwechslungen zu vermeiden, gehe ich auf Bakers Schreibweise zurück. Der korrekte Name meines Projekts lautet: »The Cannon Ball Centennial Ride«.Das Interview führte TF-Autor Martin Klein Weitere Informationen

Einen großen Artikel mit allen Informationen zur »Cannonball« Bakers Rekordfahrt gibt es im TF 11-2013. Heft bestellen

Suche im News-Archiv

TOURENFAHRER-Newsletter

Mehr frische Infos und Angebote finden Sie im TOURENFAHRER-Newsletter.

Jetzt registrieren