TOURENFAHRER Leserreise 2011 »Türkei«

Abenteuer Kleinasien

Vom Bosporus aus eine große Runde durch den Westen der Türkei. 3200 Kilometer lang tauchten die Teilnehmer der TF-Leserreise ein in das Abenteuer Kleinasien. Angela de Haan (Text und Fotos) führte die Gruppe als Tourguide unseres Partners Edelweiss Bike Travel an.

Wieder einmal beginnt eine Reise, und dabei es ist völlig nebensächlich, ob du als Individualist oder als Mitfahrer einer Gruppe in einem fremden Land ankommst. Zunächst einmal ist alles neu, unbekannt und spannend. Obwohl ich nun schon zum dritten Mal in die Türkei reise, gilt das selbst für mich als Edelweiss-Tourguide, der in den kommenden vierzehn Tagen diese TF-Leserreise begleiten wird.

Immer wieder ertappe ich mich dabei, zu glauben, dass ich in der Türkei schon so vieles gesehen habe und gefühlt schon längst über die östlichen Grenzen des Landes hinausgeschossen sein müsste. Doch ein Blick auf die Landkarte zeigt schnell, dass mit Kappadokien, dem östlichsten Gebiet unserer Tour, gerade mal knapp die Mitte der Türkei erreicht ist. Und wie immer werde ich wohl auch dieses Mal wieder tief beeindruckt sein von dem, was die Türken alles auf die Beine stellen.

Sina und Robert, unsere tatkräftigen und erfahrenen Partner in der Türkei, drücken es treffend aus: »In der Türkei gibt es keine Probleme. Es gibt nur Lösungen«, sagt Sina, und Robert verspricht: »In der Türkei wird es dir an drei Dingen niemals mangeln – Essen, Trinken und Benzin.« Im Sheraton Istanbul warte ich zusammen mit den beiden gespannt auf unsere acht Gäste. Wie werden ihre Fahrkenntnisse sein? Wird alles so klappen, wie wir es uns vorstellen? Wir werden sehen. Doch am ersten Tag steigen wir noch nicht in den Sattel, sondern erkunden Istanbul, die kontinentübergreifende Metropole.

Blaue Moschee, Hagia Sophia, Topkapi-Palast, Hippodrom – selbst wenn man nur die berühmtesten Sehenswürdigkeiten ansteuert, ist der Tag schnell vorüber, und das abendliche kulinarische Abenteuer am Bosporus beginnt. Die Auswahl an Restaurants am Ufer des berühmten »Bottleneck« ist riesig, und ein Querschnitt durch das Angebot der türkischen Küche macht alle schon hungrig auf die fahrerischen Genüsse.

Am nächsten Morgen besteigen wir an der BMW-Vertretung Istanbul unsere Motorräder und überqueren im Konvoi den Bosporus. Der Verkehr ist dicht und staut sich unablässig, doch für Istanbuler Verhältnisse kommen wir ganz flott voran. Vielleicht tragen die Respekt einflößenden Leuchtwesten ihren Teil dazu bei. Die werden in der Türkei normalerweise nur von der Polizei getragen.

Der erste Fahrtag durch die Steppenlandschaft vor Ankara führt uns nach Beypazari, früher Station auf der berühmten Seidenstraße, heute bekannt für den Anbau von Mohrrüben. Über die Hälfte der Karotten, die in der Türkei verzehrt werden, kommen von hier. Die Türkei zählt übrigens zu den wenigen Ländern, die genug Lebensmittel zur Versorgung der eigenen Bevölkerung produzieren können und sogar Überschüsse erwirtschaften.

Weitere 450 Kilometer südöstlich erreichen wir unser nächstes Ziel: Kappadokien, eine Landschaft von bizarrer, unwirklicher Schönheit, geprägt von den berühmten Feenkaminen, Felsenkirchen und unterirdischen Städten. Bei einem Tee vor diesem Panorama und anschließender Rundfahrt durch die unglaubliche Landschaft sind die Anstrengungen dieses langen Fahrtages schnell vergessen.

Am nächsten Tag lassen wir's gemütlich angehen und fahren von Göreme aus zu den unterirdischen Städten Derinkuyu und Güzelyurt. Ein ausgeklügeltes Sys­tem aus Tunneln und Schächten bot im 6. und 7. Jahrhundert 10.000 byzantinischen Christen Schutz vor den Verfolgungen durch Perser und Araber. Ein abenteuerliches Erlebnis, über sieben Stockwerke in meist gebeugter Haltung in die Tiefe zu klettern. Bestimmt nichts für Klaustrophobiker. Bevor wir weiter nach Konya fahren, erwartet uns in der Frühe des nächsten Morgens eines der wohl größten Highlights, das die Türkei zu bieten hat: Kappadokien zählt weltweit zu den fünf begehrtesten und beeindruckendsten Orten, die mit einem Heißluftballon überflogen werden können – falls die Wetterbedingungen stimmen.

Vorsichtig strecken wir unsere Nasen zur Tür hinaus: ein perfekter Tag. Sonnenschein, klare Sicht und ideale Winde. Nichts wie los. Der Bus bringt uns direkt bis vor einen der unzähligen Ballone inmitten der Gesteinstürme. In Hochzeiten sind hier bis zu 90 Ballone in der Luft. Klemens macht sich die Mühe, zu zählen, und kommt auf die stattliche Zahl von 65. Beim Einsteigen in den 20 Personen fassenden Korb heißt es natürlich, dem Piloten sein vollstes Vertrauen zu schenken, doch das fällt leicht. Er kann die Höhe seines Gefährts bis auf wenige Zentimeter genau steuern, beeinflusst die Fahrt nach oben, nach unten oder die Rotation des Ballons.

Die Fahrtrichtung selbst wird durch den Wind bestimmt, der natürlich in den verschiedenen Schichten unterschiedlich stark ist und somit wiederum Einfluss auf die Dauer der Fahrt hat. Bevor wir auf über tausend Meter Höhe steigen, sinken wir bis fast auf den Boden inmitten des Tals der Feenkamine. Gut, wer einen warmen Pullover übergezogen hat, denn die Luft in der Höhe ist empfindlich kühl. Nach einer Stunde berauschender Stille setzt unser Pilot sicher mit dem Korb auf dem Anhänger auf, der bereits auf einem Feld neben der Hauptstraße nach Göreme auf uns wartet.

Etwas später, im Sattel meiner BMW 800 GS auf dem Weg nach Konya, kommt es mir nach dem gemütlichen Tempo im Ballon fast so vor, als wäre ich jetzt mit Überschallgeschwindigkeit unterwegs. Ein Lächeln huscht mir übers Gesicht bei dem Gedanken, dass es den acht Fahrern hinter mir wahrscheinlich ähnlich ergeht. Tatsächlich ist die heutige Etappe bewusst kurz gewählt, denn mit Konya erreichen wir das spirituelle Zentrum der Türkei.

Im 12. Jahrhundert war Konya die Hauptstadt der Seldschuken. Bis heute jedoch ist die Stadt besser bekannt als Wirkstätte und Zentrum der tanzenden Derwische. Gegründet wurde der Orden der tanzenden Derwische vom anatolischen Seldschuken Celaleddin Rumi (1207-1273), besser bekannt als Mevlana (Unser Meister), wie er später von seinen Anhängern genannt wurde. Mevlana war einer der größten sufistischen Philosophen der Welt. In dem ihm gewidmeten, schon von Weitem an der grünen Kuppel erkennbaren Museum kann man nicht nur seine hauptsächlich in Persisch verfassten Werke bestaunen. Hier befinden sich zum Beispiel auch einer der kleinsten Korane sowie gut erhaltene Kleidungsstücke oder wertvolle alte Gebetsteppiche.

Eines der Zimmer im Hof ist wie zu Mevlanas Zeiten eingerichtet. Als Derwisch gekleidete Puppen verdeutlichen das Leben und Lernen eines Sufimönchs. Da das Museum gleichzeitig auch die Grabstätte Mevlanas ist, stößt man gewöhnlich auf viele Pilger, die betend vor den Särgen des Philosophen und seiner Familie stehen. Nach so viel Kultur liegt ein Tag mit purem Fahrvergnügen vor uns.

Geplant ist eigentlich eine Strecke von 450 Kilometern, doch das soll sich ändern. Die Strecke Konya-Seydisehir lässt sich so flott fahren, dass wir in Seydisehir unserem Entdeckergeist nachgeben und die Passstraße über den Tarascibeli erkunden. Anschließend lenken wir die Bikes über Bademli nach Akseki zurück auf die geplante Route, doch beim Anblick der Küstenstraße fällt uns der Abschied von den Schräglagen so schwer, dass wir uns für eine kurvenreichere Variante nach Alanya entscheiden.

Gestärkt mit einer ofenfrischen Pide ziehen wir weiter durch das fantastische türkische Bergland, treffen später wieder auf die Küstenstraße und erreichen nach weiteren 200 Kilometern unser Hotel direkt am Strand von Cirali. Am Ende dieses Tages sind sich alle einig: Jeder zusätzliche Kilometer war den Spaß wert.

Doch der Tag ist noch nicht zu Ende, und mit dem Einbruch der Dunkelheit kommt sein krönender Abschluss: Nach kurzer Busfahrt und einem 20-minütigen Anstieg auf einem Eselspfad in völliger Finsternis stehen wir an den brennenden Feldern von Chimaira. Am Hang des Berges Olympos flackern an mehreren Stellen Flammen aus dem Fels. Dem Boden entweichendes Gas beginnt zu brennen, sobald es mit Sauerstoff in Kontakt kommt. Die Flammen lassen sich zwar durch Abdecken ersticken, entzünden sich jedoch selbst immer wieder, sobald die Abde­ckung entfernt wird. Kein Wunder, dass dieses erstaunliche Phänomen für Legenden und Mythen bei den Menschen im Altertum gesorgt hat. Für uns ist es fast wie ein Abend am Lagerfeuer, der in der Gruppe noch mehr Spaß macht.

Spaß macht auch die Küstenstraße von Cirali bis Fethiye. Und was für welchen! Ein Tanz entlang des wogenden Meers, garniert mit kulturellen Höhepunkten. Entlang der Route liegen etwa die lykische Stätte Myra mit ihren Felsruinen, die Kirche des heiligen Nikolaus, der weiße Sandstrand von Patara und die Ruinen von Xanthos, der früheren Hauptstadt Lykiens. Und dann sind da ja noch die Nebenstraßen durch die Berge nach Kekova Adasi – hier schlägt garantiert jedes Motorradfahrerherz höher.

Nach einer Nacht in Göcek, Domizil von Sina und Robert und einer der vornehmsten Yachthäfen der Türkei, steuern wir die berühmten Sinterterrassen in Pamukkale an. Eine Route, die durch atemberaubendes Bergland mit dem 1430 Meter hohen Tuzlabeli-Pass führt. Falls sich irgendjemand immer noch nicht eingekurvt hat – auf der Straße nach Gölhisar wird es sich einstellen, das harmonische Gefühl des Fliegens zwischen den Kurven.

Pamukkale nähert man sich am besten mit einem Spaziergang durch die Ruinen von Hierapolis, dessen Besiedlung auf eine Mischung aus heidnischen, römischen, jüdischen und frühchristlichen Elementen schließen lässt. Wer sich ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang vom Nordeingang auf den Weg macht, erreicht die Sinterterrassen gerade zur besten Zeit. Der größte Ansturm ist bereits vorbei, und der Barfußmarsch bei beginnender Dämmerung über die beleuchteten Terrassen zurück in den Ort ist ein Erlebnis, das man so schnell nicht vergessen wird.

Auch das großflächige, relativ gut erhaltene Aphrodisias, südwestlich von Pamukkale, lohnt eine längere Erkundung. Bei einem Rundgang über das Areal kann man sich gut vorstellen, wie die Menschen hier im 2. Jahrhundert gelebt haben müssen. Mit ordentlichen Schräglagen geht es weiter nach Ephesos, und ich merke, dass ich noch immer bei jeder Pause das Wort »Kaffeestopp« verwende. Dabei sollte es in der Türkei doch »Teestopp« heißen.

Schwarztee oder Cay in kleinen, bauchigen Gläsern hat sich als Nationalgetränk der Türken durchgesetzt und wird wirklich überall serviert. Hat ein Restaurantbesitzer gerade nicht genügend Tee zur sofortigen Verfügung, wird einfach aus dem Nachbarlokal Nachschub herbeibefördert. Völlig unvorstellbar für ein deutsches Café.

Am frühen Nachmittag erreichen wir Ephesos, die am besten erhaltene antike Stadt im östlichen Mittelmeerraum. In der Antike war Ephesos eine florierende und wohlhabende Hafenstadt. Die Küste verlief weiter landwärts und reichte fast bis Selcuk. Wir können uns dies heute nur noch anhand der langen Hafenzufahrtsstraße vorstellen, die sich unterhalb des riesigen Theaters befindet. Der Hafen ist natürlich längst versandet, und Ephesos liegt jetzt etwa zehn Kilometer landeinwärts.

Viel Kultur hat die Türkei zu bieten, aber uns bleiben nur noch drei Tage Zeit, und die wollen wir vor allem im Sattel verbringen. Schon am nächsten Morgen in den Bergen hinter Ödemis beginnt das Vergnügen. Wir umfahren Salihli und lassen uns treiben auf den Straßen, die sich um den Demirköpri-See winden. Dieser Routenteil ist auch für mich neu, und wieder einmal stelle ich fest, dass man die schönsten Strecken gerade dann findet, wenn man sich auf seinen siebten Sinn verlässt.

Im Oktober beginnt es bereits gegen 18 Uhr zu dämmern. Wir sind an diesem langen Fahrtag spät dran, so dass in Pergamon leider nur Zeit für die Besichtigung der roten Basilika bleibt. Aber das ist auch nicht so schlimm, denn die Krönung des Tages ist die achterbahnähnliche Straße von Bergamas nach Ayvalik und zu unserem Hotel auf der Halbinsel Alibey Adasi. Nach diesem Kurvenrausch sind sich am nächsten Tag alle Tourteilnehmer einig: nicht auf der Küstenstraße nach Canakkale, sondern noch ein letztes Mal Rastenkratzen auf den türkischen Bergstraßen.

Diesmal im Gebiet der Biga Yarimadasi östlich der Dardanellen. In Richtung Canakkale ist es ziemlich egal, welche der Straßen wir unter die Räder nehmen. Einfach jede ist fantastisch, und regelrecht kurventrunken erreichen wir abends unser Hotel. Die Halbinsel Gallipoli bzw. die Dardanellen waren schon immer ein heiß begehrter Durchgangspunkt für Flotten, die an der Eroberung Istanbuls interessiert waren. Die meisten Versuche scheiterten jedoch. So auch die der Briten und ihrer Verbündeten im Ersten Weltkrieg. Bei der Ankunft im Hafen von Eceabat wird man an das schreckliche Blutbad vor fast einem Jahrhundert erinnert. Eine überdimensionale türkische Fahne ist auf den Felsen gemalt, und direkt am Hafen ist ein Schlachtfeld mit überlebensgroßen Figuren nachempfunden.

Die Fähre bringt uns zur anderen Seite, wo eine sich sanft schlängelnde Straße rund um die südliche Hälfte zum British Memorial führt. Bereits von der Fähre aus können wir einen Blick auf die einladenden Kurven erhaschen, die wir uns natürlich vor der Rückfahrt nach Istanbul noch schnell gönnen müssen.

Der Weg auf der E 80 nach Istanbul sieht auf der Karte relativ unspektakulär aus. Tatsächlich aber macht das Istanbuler Verkehrschaos ein zügiges Vorankommen fast unmöglich. Vom einen Ende der Stadt bis zum anderen sind es 120 Kilometer. Unser Ziel, die BMW-Vertretung, liegt etwa in der Mitte. Doch wir haben wieder Glück. Mit ein paar Tricks schaffen wir es, uns innerhalb von zwei Stunden einen Weg durch das dichte Blechgewühl zu bahnen. Immerhin ein Schnitt von 25 km/h, und damit endet unser Abenteuer Kleinasien nach 3200 Kilometern.

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