Höhenpfeifer
Traumstraße Westerwald

Höhenpfeifer

Länge: 230 km
Dauer: 1-2 Tage

Terrain

Standard Road

Länder

Deutschland

Regionen

Westerwald , Nordrhein-Westfalen , Hessen , Rheinland-Pfalz

Kalt soll der Wind hier über die Höhen pfeifen, heißt es im Text des Westerwaldlieds. Doch keine Angst, das tut er nur im Winter. Sonst aber ist das bekannte deutsche Mittelgebirge ein ideales Terrain, um mit dem Motorrad über die Höhen zu pfeifen. Text + Fotos: Hans Michael Engelke

Wenn es um sinnfreie Texte in deutschen Volksliedern geht, muss man nach Beispielen meist nicht lange suchen. Ein Beleg par excellence für zweifelhafte Romantik und kernige Klischees ist sicher das Westerwaldlied. Gut, dass über die Höhen dieses rechtsrheinischen Mittelgebirges schon mal ein kalter Wind weht, geht ja noch in Ordnung, ist auch normal. Aber dass die Wirtshausschlägerei ein Zeichen von Mut sei, na ja. Eins ist jedoch sicher – seit es diesen Gassenhauer gibt, ist der Westerwald in aller Munde, und die Sache mit dem Sonnenschein, die stimmt wohl auch. Zumindest auf unserer Tour, die in Altenkirchen startet. Die gute Erreichbarkeit über die B 8 macht die Kreisstadt im vorderen Westerwald zum idealen Einstiegspunkt in unsere Route. Dichte Nebelschwaden hängen noch am frühen Morgen rechts und links der Bundesstraße, doch denen macht besagte Sonne langsam, aber sicher den Garaus. Kleine Weiler, Weiden mit hängenden Ästen und grasende Pferde schälen sich Meter für Meter aus der grauen Suppe heraus, und die kleinen Nebelfahnen über dem Asphalt kündigen eine bald trocknende Fahrbahn an.

Die können wir auch gebrauchen. Denn kaum liegt Altenkirchen hinter uns, kaum haben wir die B 256 verlassen, finden wir uns recht allein im westerwäldischen Kurvengewirr wieder. Das Schattenmuster der vielen Bäume auf der schmalen Waldstraße bei Astert erinnert an einen unendlichen Strichcode, wie ein Stroboskop blitzt die Morgensonne durch die Baumreihen. Tief hängen die dichten nadeligen Äste über der Fahrbahn. Das ist die Szenerie, in der man ein flüchtiges Reh auf dem Weg in seinen Wald vermutet, also schalte ich erst mal einen Gang runter und genieße die stille, ruhige Natur. Tief inhalieren wir die in den Helm strömende intensive, aromatische Waldluft, die fast automatisch alle Sinne zur Ruhe kommen lässt – besser als jeder Joint. Quer durch das idyllische Fachwerkstädtchen Hachendorf kreuzen wir erneut die Bundesstraße, halten auf die Westerwälder Seenplatte zu. Immerhin sieben Weiher spiegeln sich hier in der Sonne. Am größten von ihnen, dem Dreifelder Weiher, lasse ich die BMW ausrollen. Kaum vorstellbar, dass diese riesige Wasserfläche erst in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts von Menschenhand geschaffen wurde. Aus den einst sumpfigen Wiesen entstanden damals in zweijähriger Bauzeit ertragreiche Fischweiher, in denen sich bis heute eine schmackhafte Fischzucht tummelt. Noch zwei-, dreimal fällt unser Blick auf das glitzernde Wasser gleich neben der Straße, dann geht es wieder hoch gen Norden. Das idyllische Nis tertal mit seinen kleinen plätschernden Bächen und satten grünen Wiesen führt uns nach Bad Marienberg. Genau der richtige Ort für ein zweites Frühstück oder eine Kaffeepause.

Vorbei an gemächlich grasenden Kühen und entlang der sanft durch die Landschaft schwingenden Nebenstraßen steuere ich den Wiesensee an. Es geht über ein weites Hochplateau, entsprechend eindrucksvoll ist die Aussicht. Weit fällt der Blick in alle Richtungen. Vielleicht hatte der Autor des Westerwaldliedes diese Ecke des Westerwaldes im Auge, als er seine Zeilen über die Höhen schrieb. Irgendwie passend, der nächste Ort heißt Höhn, und beim Durchfahren bleibt mein Blick an einem großen, dunklen Turm hängen. Ich werde neugierig, wende und rolle direkt unterhalb eines mächtigen Förderturms aus. Als Industriedenkmal erinnert er an die rege Bergwerkstätigkeit rund um Höhn. Schon 1651 wurde hier die erste Braunkohle gefunden. Später arbeiteten sich die Bergleute in einer Tiefe von rund 80 Metern bis zu vier Kilometern nach Nord und Süd durch die Erde. In der Gründerzeit lebten Hunderte von Arbeitern von den Gruben. Die Schließung des nahe gelegenen Kohlekraftwerks läutete letztendlich auch das Ende der Zechen ein. Die Grube Alexandria bei Höhn war dann die letzte, die im Jahr 1961 endgültig geschlossen wurde. Nur ein paar Kurven weiter lockt der Wiesensee mit – wie der Name schon verspricht – schönen Liegewiesen rund ums Ufer. Falls es zum Baden zu kalt ist oder die Badehose vergessen wurde: Auch in der gemütlichen Gaststätte lässt sich mit Blick auf den See perfekt entspannen, bevor die nächsten Kurven rufen. Und die gibt es rund um Waldbrunn reichlich. Zudem wechselt sich das Landschaftsbild hier immer wieder ab. Zwischen dichten dunklen Wäldern liegen helle sonnige Abschnitte. Mal düsteres Unterholz, nur wenige Meter weiter dann offenes Weideland oder frisch bestellte Äcker. Bei Merenberg ist schlagartig Schluss mit dieser Idylle. Ein paar Meter geht es über die schnelle B 49, dann warten Weilburg und Braunfels auf Besucher.

Im Gelbachtal geht es zur Sache - 22 Kilometer lang reiht sich Kurve an Kurve, Geraden hatten die Straßenbauer nicht im Repertoire

Die kommen reichlich, denn beide Orte protzen mit mächtigen, bildschönen Schlössern. In Weilburgs riesiger Schlossanlage und der historischen Altstadt lassen sich ohne Langeweile locker ein paar Stunden verbringen, vor allem die kurzweiligen Schlossführungen dürften selbst Nichthistoriker überzeugen. Schloss Braunfels, ursprünglich eine gewaltige Verteidigungsburg, punktet dagegen mit dem Familienmuseum der Grafen von Solms, Waffen- und Kunstsammlungen, einem Rittersaal und zahlreichen ansehnlichen Ausstellungsstücken. Nach so viel Kultur raucht uns der Kopf, und der Bauch verlangt zudem etwas Nahrhaftes. Kein Problem, nur ein paar Kilometer entlang der Lahn, dann rechts abbiegen, der Solmser Straße durch idyllische Landschaft folgen, und ruckzuck finden wir uns in Greifenstein-Holzhausen wieder. Ja, auch in Greifenstein gibt es wieder eine imposante Burg, aber diesmal lockt uns eher »Brösels «. In der urigen Kneipe spielen nicht nur regelmäßig diverse Bands, hier treffen sich auch jede Menge Motorradfahrer, was nicht zuletzt am vorzüglichen Essen liegt, das hier angeboten wird. Solchermaßen gestärkt, führt es uns wieder gen Süden. Ein paar Schlenker, es geht noch mal durch Waldbrunn, dann kreuzen wir bei Hundsangen die B 8. Wer hier vor der südlichen Schleife dieser Tour gemütlich nächtigen möchte, ist bei Rosalia und Klaus Schulz bestens aufgehoben. Mit ihrem TOURENFAHRER-Partnerhaus haben sich die beiden ganz der reisenden zweirädrigen Zunft verschrieben, bewirten liebevoll und originell ihre Gäs - te und haben natürlich auch immer jede Menge Tourentipps auf Lager. Klaus’ klarer Favorit darunter liegt gleich hinter Montabaur: das Gelbachtal. Unterhalb von Montabaurs Stadtsilhouette weisen schon die Schilder zu diesem Tal, und das amtliche Verkehrsschild »105-20 Doppelkurve (zunächst rechts)« mit dem Zusatzzeichen »1001-31 Länge einer Strecke auf 22 km« lässt Geniales vermuten.

Und tatsächlich, hier geht es zur Sache. 22 Kilometer lang reiht sich Kurve an Kurve, Geraden hatten die Straßenbauer hier nicht im Repertoire. Wie auch, schließlich folgt der Asphalt dem Gelbach auf seinen unzähligen Windungen durch den Naturpark Nassau. Dass der Bach richtig Schwerstarbeit leisten musste, stellt man spätestens an den knackigen Kehren um die Felsvorsprünge fest. Die sind übrigens nicht ganz ohne, gemeine Hundskurven, die sich in ihrem Verlauf zuziehen. Bremsspuren in den Gegenverkehr hinein sollten warnendes Beispiel sein.

An der Lahn angekommen – der Gelbach mündet bei Obernhof kurz vor Nassau in die Lahn –, bin ich fast froh über ein paar Meter geradeaus. Gemütlich erhole ich mich entlang des Flüsschens von den vielen Schräglagen, doch bei Bad Ems ist der Gleichgewichtssinn wieder hergestellt. Also blinken und abbiegen. Vom Lahntal hinauf in die nassauischen Höhen. Klar, dass es dazu einiger Kehren bedarf. Ein paar Kratzer mehr verunzieren also den Asphalt, und ganz nebenbei wird einem dabei eine tolle Aussicht über die Höhenzüge beschert. Bei Arzbach grüßt die Ruine Sporkenburg aus dem tiefen Wald. Nur zu Fuß zu erreichen und deshalb eher ein Ziel für die Wanderfraktion.

Anders unser letztes Ziel für diese Tour: Hoch oben über Rhein und Mosel thront weithin sichtbar die Festung Ehrenbreitstein, und die mächtige Anlage ist nicht der schlechteste Ausklang für unsere Westerwald-Tour. Hier oben kann man sie bei einer genialen Aussicht über das Deutsche Eck unten im Tal ja noch einmal Revue passieren lassen. Aber wer den Blick in Richtung Süden lenkt, der bekommt garantiert schon wieder Lust auf neue Entdeckungen. Schließlich liefert das Mittelrheintal mit seiner Rheinromantik und seinen verträumten Seitentälern jede Menge Inspiration, um gleich wieder auf die Suche zu gehen. Nach neuen Traumstraßen natürlich.

Fahrzeit: Tagestour, lässt man sich jedoch Zeit für Motorradtreffs und Sehenswürdigkeiten, werden daraus auch locker zwei Tage.

Highlights

Besonderheiten: Viele kurvenreiche Nebenstrecken durch idyllische Landschaften mit abwechslungsreichen Motorradtreffs.
Sehenswert: Münchhausenstadt Bodenwerder mit Museum und hübschem Ortskern. Motorradtreff am Köterberghaus mit Gastronomie und fantastischem Panorama (www.koeterberg.de). Tonenburg bei Höxte/Albaxen: beliebter Motorradtreff und Unterkunft, hier finden auch zahlreiche Events rund ums Motorrad statt (www.tonenburg.de). Bad Karlshafen: interessante Kurstadt, etwas versnobt, aber wunderschönes Fachwerk, Burgruine, Bauten und Museen. Porzellanmanufaktur in Fürstenberg mit kurzweiligem Porzellanmuseum. Einmalig ist Holzmindens »Duftender Stadtrundgang«. An 15 Duft-Stelen werden Informationen zum jeweiligen Standort und über Düfte und Aromen vermittelt (www.holzminden.de).

Aus dem Heft:
Tourenfahrer 7/2009

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