Renngeschichte
Traumstraße Vogelsberg

Renngeschichte

Länge: 260 km
Dauer: 1-2 Tage

Terrain

Standard Road

Länder

Deutschland

Regionen

Vogelsberg , Hessen

Wo sonst, wenn nicht im Vogelsberg, hat man schon die Gelegenheit, auf einer fantastischen Rennstrecke unzählige freie Runden zu drehen? Und wenn dann auch noch da  Drumherum stimmt, steht einer traumhaften Tour nichts mehr im Weg. Text + Fotos: Hans Michael Engelke

Es war das Jahr 1925, da schrieb das kleine hessische Städtchen Schotten Renngeschichte. Eine ganze Reihe technikbegeisterter Sportler gründete den »Vogelsberger Automobilund Motorradclub« und organisierte noch im gleichen Jahr das erste Rennen »Rund um Schotten«. Über gut 16 Kilometer führte die höchst anspruchsvolle Strecke von Schotten nach Rudingshain, weiter nach Götzen und wieder zurück nach Schotten. Die Motorradrennen wurden in den folgenden Jahren legendär, Tausende Zuschauer säumten die landschaftlich traumhaft gelegene Strecke im Vogelsberg. Ab 1938 folgten die Sportwagenrennen. Höhepunkt des Schottener Treibens war sicher die Ausrichtung des Großen Preis für Deutschland für Motorräder 1953, der zur Motorrad-WM zählte. Mit dem schweren Unglück von Le Mans im Jahr 1955, bei dem 83 Zuschauer den Tod fanden, endete für lange Zeit auch die Geschichte des Schottenrings als Rennstrecke. Von 1968 bis 1983 fanden nochmals Fahrten auf der alten Strecke statt. Seit 1989 erinnert jetzt an jedem dritten Wochenende im August der Classic Grand Prix auf dem neuen 1,4 Kilometer langen Stadtkurs an den alten Glanz. Schotten, das ist auch der ideale Ausgangspunkt für eine Tour über die Traumstraßen des Vogelsbergs, ohne dass man Renntempo vorlegen müsste. Bekannt unter Motorradfahrern ist die B 276, die uns von hier gen Süden führt. Anspruchsvolle Kurvenkombinationen, herrliche Ausblicke in die bergige Landschaft und ein exquisiter Straßenbelag versprechen einen gelungenen Tourauftakt. Den weiteren Verlauf wollen wir uns aber fürs Dessert aufheben, also folgen wir den Schildern zum Hoherodskopf. Der ist mit 764 Metern der zweithöchste Berg der Region und bietet gleich einen knackigen Aufstieg. Schon von weitem ist der mächtige, rund 140 Meter hohe Fernmeldeturm auf dem Gipfel zu sehen. Uns reizt aber ein ganz anderer Turm, einer mit Aussicht, der Bismarckturm. Oben auf dem Hoherodskopf, wo einst der amerikanische Horchposten gen DDR lauschte, parke ich die BMW, und nur wenige Meter durch den Wald sind es dann noch bis zu dem massiven, 28 Meter hohen Aussichtsturm. Seit gut hundert Jahren streckt der sich in den vogelbergschen Himmel und bietet einen tollen Rundblick über die Region. Okay, für Nichtgeübte und Bewegungsmuffel stellen die vielen Stufen eine Herausforderung dar, aber der Ausblick lohnt die Mühen.

Vorbei am großen Bruder des Hoherodskopf, dem 773 Meter hohen Taufstein, stürzen wir uns wieder ins Tal. Die Ringstraße Hoher Vogelsberg lädt zu flottem Tempo ein, und die Fußrasten der RT hinterlassen ordentlich Reviermarken. Die nahe Ortschaft Schlechtenwegen macht ihrem Namen zum Glück keine Ehre. Über die griffige B 275 geht es weiter durch hügeliges Land. Die Ringstraße wird zuerst von der Deutschen Alleenstraße abgelöst, und nur wenige Kilometer weiter nennt sie sich schließlich Deutsche Fachwerkstraße. Wer mag, kann sich hier gleich am Fahrbahnrand abkühlen. Ober-Mooser und Nieder-Mooser Teich locken mit Schwimmbad und Campingplatz. Poppenrod, Nüsberts -Weismoos, Wünschen-Moos, Kleinlüder– klingt alles nicht wirklich nach Weltstadt. Kleine Weiler und Dörfchen sind es, die wir im grünen Vogelsberg passieren. Fast scheint die Uhr hier langsamer als sonstwo zu gehen. Eine müde Katze blinzelt uns von einer Fensterbank hinterher, ein paar Greifvögel ziehen träge ihre Kreise durch den strahlend blauen Himmel, und das bevorzugte Fahrzeug der Anrainer scheint der Trecker zu sein.

Durchs Tal der Kemmete folgen wir den Schildern nach Neuhof, um den gleichnamigen Forst zu umrunden. Hier kreuzten sich einst die alten Handelsstraßen Via Regia und Antsanvia. Schon aus weiter Entfernung fällt die im Volksmund »Monte Kali« genannte riesige weiß leuchtende Abraumhalde ins Auge. Der Name passt, ziert den gewaltigen Berg aus rund 50 Millionen Tonnen Salz und Gips doch ein richtiges Gipfelkreuz auf der Spitze. Wir schlagen einen Bogen um diese größte Deponie Europas und kurven durch waldiges Bergland und gewundene Nebenstrecken entlang kleiner Flüsschen wie Jossa, Lüder und Altefeld, die in jahrhundertelanger Arbeit ansehnliche Täler aus der Landschaft geschmirgelt haben. Hier wäre der richtige Abzweig für einen Abstecher nach Fulda. Die Bischofsstadt geizt nicht mit ihren Reizen. Ob die historische Altstadt mit dem bildschönen Rathaus, das Adelspalais oder die Orangerie und das Paulustor, es gibt eine Menge zu entdecken.

Zu Besuch bei Friedel Münch

Uns locken heute jedoch die Kurven, also kreuzen wir mal wieder die Deutsche Märchenstraße und steuern über Feldatal und Lautertal Ulrichstein an. Die höchstgelegene Stadt Hessens weiß mit einer besonderen Attraktion aufzuwarten. Auf einem über 600 Meter hohen Basaltkegel erhebt sich die Burganlage mit der Burgruine un  dem Vogelsberggarten über der Landschaft. Der richtige Ort für ein gelungenes Picknick. Mit frischen Brezeln, herzhaftem Käse und einem knackigen Apfel als Nachtisch sitzen wir auf den Burgmauern, wo einst die Herren von Eisenbach über die Zinnen blickten, und genießen die famose Fernsicht. Entlang der Bäche Ohm, Rauchel und Sausel folgen wir anschließend den Schildern zurück nach Schotten, vorbei am 450 Meter hohen Wintersberg. Auf zum Schottenring? Noch nicht ganz, jetzt gibt’s erst mal lecker Kaffee. Und wo fährt der Motorradfahrer im Vogelsberg Kaffee trinken? Entweder beim »Falltorhaus« oder beim »Bikerhaus«. Beide liegen fast einträchtig nebeneinander an der B 276, wenige Kilometer hinter Schotten un  vor Laubach. Das Stück Bundesstraße ist legendär. Nicht nur der Motorradtreffs wegen.

153 Motorradunfälle gab es hier in fünf Jahren. Vier Tote, 72 schwer und 80 leicht verletzte Motorradfahrer – eine heftige Bilanz, die zum Nachdenken anregen sollte. Bei den Treffs ist natürlich eine Menge los, wir lassen die RT ausrollen, gönnen uns einen starken schwarzen Muntermacher und stecken schnell mitten im Gespräch. Hauptthema –neben den Motorrädern natürlich– die Häufigkeit der Polizeikontrollen an der Strecke. Wen wundert’s? Weiter geht’s entlang der kurvigen B 276. In Laubach erreichen wir den westlichsten Punkt des Naturparks Hoher Vogelsberg. Das heißt für uns scharf nach links schwenken und ein Stück der Naturparkgrenze folgen. Aber natürlich nicht ohne vorher einer echte  Koryphäe des Vogelsbergs einen Besuch abzustatten, dem genialen Motorradtüftler Friede  Münch. Der schraubte schon 1948 im Keller der väterlichen Werkstatt sein erstes Motorrad aus Teilen einer Horex und selbst konstruierten Bestandteilen zusammen, den Vorläufer der späteren Münch Mammut, die zum Traum aller Big-Bike-Fans avancierte. Münchs heutige Werkstatt liegt in Laubach, ist zu besichtigen und beherbergt außerdem das Motorenmuseum. Wir haben zwar das Pech, dass der Maestro selber nicht anwesend ist, aber seine Geschichte und die Wunderwelt der Motorentechnik ist dennoch faszinierend.

Nach dem Rundgang sind wir wieder auf der Landstraße. Kernig schlängelt sich die Route durch die Region. Irgendwann überqueren wir die Nidda. Von hier geht es, sofern man möchte, schnurgerade über die schnelle B 455 zügig zurück nach Schotten. Wer diese Strecke wählt, kommt am Nidda-Stausee vorbei. Der ist schon seit Ewigkeiten ein beliebte  Bade-, Angel- und Surfsee. Eine Armada von Leih-, Tret- und Schlauchbooten ist hier im Sommer unterwegs. Aber auch für den Sprung ins kühle Nass bietet sich der Stausee an. Sich von der Sonne trocknen lassen kann man anschließend auf den grünen Uferwiesen. Das kühle Nass heben wir uns lieber für den Abend auf, verlassen die B 455 also gleich wieder und schlängeln uns entlang des Eichelbaches über schmale Nebenstrecken zur Deutschen Alleenstraße durch, die schließlich auch in Schotten endet. Jetzt muss aber endlich der Startschuss für unsere persönliche Schottenring-Runde fallen. In Richtung Rudingshain sind wir auf der Straße unterwegs, auf der vor vielen Jahren Huschke von Hanstein, Schorsch Meier und viele weitere bekannte Rennsportgrößen um Sekundenbruchteile kämpften. Zu Füßen des 753 Meter hohen Sieben Ahorn fegen wir über die landschaftlich fantastisch gelegene ehemalige Rennstrecke. Weit reicht die Aussicht rechts und links in den Vogelsberg. Kaum anzunehmen, dass die Rennfahrer damals einen Blick für die schöne Landschaft hatten. Als wir für ein Foto anhalten, fliegen drei, vier Motorräder an uns vorbei. Die Strecke ist beliebt. Hinter Rudingshain kommen die ersten Kehren. Wie viele Sportler mögen hier schon im Grün gelandet sein?
Auf halber Strecke läutet ein scharfer Linksknick die Rücktour ein. Langgezogene Kurven führen gen Süden, durch das kleine Örtchen Götzen. Dann noch ein paar Meter, und schließlich landen wir wieder in Schotten, der kleinen Gemeinde, die so kräftig Renngeschichte schrieb.

Fahrzeit: Tagestour, lässt man sich aber Zeit für Motorradtreffs und Sehenswürdigkeiten, werden daraus locker zwei Fahrtage.

Highlights

Besonderheiten: Historische Rennstrecke, sehr kurvenreiche Nebenstrecken und interessante Motorradtreffs.
Sehenswert: Der Schottenring und seine Veranstaltungen (www.schottenring.de). Das Münch-Motorenmuseum (www.laubach-online.de). Laubach und Schotten haben sehenswerte historische Altstädte. Der Nidda-Stausee bei Schotten lockt als Freizeitparadies und mit einem Campingplatz. Neben Schindelbauweise und Fachwerk zeigt Ulrichstein mit dem Schlossberg und der Schlossruine Sehenswertes. Die beiden Motorradtreffs an der B 276 Falltorhaus und Bikerhaus sind bei entsprechendem Wetter immer gut besucht, vorbeischauen lohnt sich.

Aus dem Heft:
Tourenfahrer 5/2008

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