TOURENFAHRER-Leserreise 2009 Tunesien

Mit allen Sinnen

Für die alten Römer war die Strecke Rom-Sizilien-Karthago der  günstigste Weg, die Provinzen in Afrika mit ihrer Machtzentrale in Rom zu verbinden. Den historischen Spuren, die sie hinterlassen haben, folgte die TF-Leserreise 2009. Text und Fotos: Dirk W. Köster

Wer immer auch dafür zuständig ist, auf den Landkarten die besonders schönen Strecken mit grünen Farbstreifen zu kennzeichnen, er hätte es in der Gegend zwischen Neapel und Cosenca recht leicht. Er könnte seinen gesamten Vorrat an grüner Tinte recht wahllos auf dem Blatt verteilen und läge dennoch richtig. Sein Tagewerk wäre beendet, und er könnte auf einer Terrasse hoch über der Amalfi- Küste bei einem guten Cappuccino oder einem Chianti Platz nehmen und einen dieser fantastischen Sonnenuntergänge genießen.

So wie wir auf der Terrasse einer kleinen Trattoria hoch über dem Meer. Dramatisch versinkt der Feuerball hinter der zum Greifen nahen Insel und erfüllt sämtliche Klischees: Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt…

50 Kilometer sind es noch bis zum Etappenziel bei Salerno. 50 Kilometer, die aus aberhunderten Kurven und stolzen anderthalb Stunden Zeitaufwand bestehen. Zeit, Kurven und Entfernungen verschmelzen zu einem Cocktail aus höchster Konzentration und grenzenlosem Fahrvergnügen. Jedes einzelne der Tunnelportale auf dem Weg gibt nach der Durchfahrt einen perfekten Bilderrahmen mit einem großartigen Stilleben italienischer Landschaft, wahlweise mit atemberaubendem Meerblick oder schroffem Bergpanorama.

So geht es beim Abendessen nur um ein Thema: Sind diese Ausblicke noch zu toppen? Die Antwort: ein klares Ja. Schließlich befinden wir uns auf der TOURENFAHRER-Leserreise, und die soll auch erfahrenen Fahrern neue Eindrücke vermitteln. Da darf Kultur nicht fehlen, denn das Motto der Reise lautet ja »Von Rom nach Karthago«.

Stand gestern eine Stippvisite im vom Vesuv verschütteten Pompeji auf dem Programm, ist es heute ein Stopp in der historischen Römerstadt Paestum. Immer wieder beeindruckend, wie weit die Kultur der Römer damals entwickelt war und wie wenig wir doch über deren Leben heute wissen.

Kaum verlieren sich die Befestigungen im Rückspiegel, tauchen neue Herausforderungen auf. Die Straße führt über Höhenzüge, die Olivenernte ist in vollem Gange. Eine bisher unbekannte Gefahr: Wenn die Bauern die Ladeflächen ihrer Ape-Dreiräder bis zur Berstgrenze mit den Ölfrüchten füllen, beginnt ein erster, unbeabsichtigter Pressprozess. Aus den Bordwänden rinnt in haardünnen Fäden feinstes Ölivenöl, das sich in den Kurven auf dem Asphalt verteilt – ein völlig neues Rutschgefühl.

Den Hafen von Palinuro erreichen wir über verschlungene Kehren, der Lohn ist ein Kaffee direkt am Meer. Entlang des blauen Wassers führt das schwungvolle Asphaltband nach Maratea, wo die »zweitgrößte Jesusstatue nach Rio« zur Besichtigung auf den Berg lockt. Die Auffahrt zum 22 Meter hohen »Il Redentore« erfolgt über waghalsige Spitzkehren, einige hat man in verwegener Knotenform auf Betonstelzen errichtet.

Ein Hotel in den Bergen dient als Schlafstätte, und schon früh am Morgen brummen die Motoren wieder – Sizilien heißt das Etappenziel. Stundenlang führen engste Sträßchen hinunter zum Meer, dorthin wo das Missgeschick eines Eismannes der Urknall einer besonderen Leckerei war: Der Legende nach soll einem Gelatiere in Pizzo eine Eiskugel in eine Dose mit Kakaopulver gefallen sein. Der Mann probierte die Kugel, er verfeinerte sie weiter und erfand so den Tartufo. Auf Pizzos Hauptplatz genießen wir die mit einem Kern aus flüssiger Schokolade gefüllte Kalorienbombe – hätten doch nur alle Missgeschicke solch hinreißende Folgen.

Die kalabrischen Küstenkurven sorgen für Hochgefühl, verhindern aber hohe Reiseschnitte. Egal, wir liegen gut in der Zeit, heute ist Sonntag, und das übliche Pendlerchaos auf den Fähren nach Sizilien ist nicht zu befürchten. So reicht nach der kurzen Überfahrt die Zeit noch für eine Besichtigung der Altstadt Taorminas. Als wir nach einem sicheren Stellplatz für die Motorräder suchen, donnert der Harley-Club von Palermo in kompletter Mannschaftsstärke heran, erklärt uns kurzerhand zu Brüdern und übernimmt, wie eben unter Brüdern üblich, die Bewachung unserer Motorräder.

Trotz der Touristenmassen lohnt ein Besuch der Altstadt, allein die Blicke auf das griechische Amphitheater und den schneebedeckten Ätna sind einen Spaziergang wert. Nach einer zu kurzen Nacht in einer traumhaften Hotelanlage direkt oberhalb der Küste führt der Weg an den Hängen des Ätna entlang zur 2000 Meter hoch gelegenen Liftstation.

Die Fahrt durch glänzend schwarze Lavafelder ist der Hauptgang eines großartigen Kurvenmenüs, die für die Jahreszeit seltenen sommerlichen Temperaturen von 22 Grad in dieser Höhe bei bester Fernsicht sind das gelungene Dessert.

Durch golden-herbstlich schimmernde Kastanienwälder erreichen wir das am Hang gebaute Städtchen Centuripe. Neben einer grandiosen Aussicht ein idealer Platz zum Mittagessen. Um das zu bestellen, müssen wir kein Italienisch stammeln, die Wirtin der kleinen Trattoria lebte jahrzehntelang in Villingen und spricht perfekt Schwäbisch.

Die Sonne steht schon tief, die Landstraßenbummelei hat Zeit gekostet, also ab auf die Autobahn. Wer hier monotone Brummerei befürchtet, liegt falsch, die Autostrada Catania-Palermo führt durch malerische Landschaften und ist auf weiten Strecken auf Stelzen gebaut, die Fahrerei entspannt. Eine dringend nötige Erholung vor dem Feierabendverkehr Palermos.

Hier werden die schlimmsten Vorurteile über italienischen Verkehrswahnsinn wahr, auf der nach oben offenen Chaosskala liegt die sizilianische Hauptstadt weit näher an Bombay als an Rom. Erst am Eingang des Freihafens hat die quirlig-gefährliche Hektik ein Ende, die Warterei auf die Fähre nach Tunis ist sogar gut organisiert.

Grimaldis Schiff, das Europa mit Afrika verbindet, ist eine Fähre älterer Bauart. Wenig Komfort und noch weniger Gemütlichkeit lassen uns müde in die Kojen fallen. Als uns morgens Lautsprechergeplärre weckt, ist der Horizont von der Küs­te Nordafrikas umrandet. Die tunesische Zollabfertigung ist in einer guten Stunde erledigt, Afrika, wir kommen.

Über moderne Ausfallstraßen verlassen wir Tunis, nach kurzer Fahrt weist das beeindruckende Aquädukt von Zaghouan den Weg ins Hinterland. Unglaublich, dass die Römer in der Lage waren, durch dieses Bauwerk Wasser über mehr als 45 Kilometer bei geringstem Gefälle aus den Bergen nach Karthago zu befördern. Za­ghouan selbst vermittelt mit einer wirren Anordnung von Läden, traditionellen Handwerkern und skurrilen Werkstätten einen ers­ten Eindruck nordafrikanischer Kultur.

Das Etappenziel ist Kairouan, eine der heiligsten Städte des Islam und kaum vom Tourismus erschlossen. Die Erkundung der Altstadt ist ein guter Grund für einen Ruhetag. Die Souks der Medina bieten Platz für Handwerker aller Art; vom Teppichknüpfer über den Knochenauslöser bis hin zum Blechschmied ist hier alles vertreten. Ob gekochter Hammelkopf, gedünstete Kamelzunge oder glasige Kamelaugen – auch die angebotenen lokalen »Leckereien« sind vielschichtig. Besonders die köstlich gefüllten Kekse haben es uns angetan. Genau wie die mächtige Burg der Medina, behutsam zum Luxushotel umgebaut, ist sie ein idealer Ort, um sich von den langen Fahrtagen zu erholen.

Am nächsten Tag trennen sich die Wege: Die Kulturinteressierten zieht es zur bemerkenswert gut erhaltenen Römerstadt Sbeitla, alle, die scharf aufs Fahren sind, machen einen Schlenker durchs Ousselat-Gebirge. Eine dritte Gruppe fährt mit zum Fototermin auf den Jebel Biada. Der Berg gehört zu einer zwar nur knapp 1200 Meter hohen, durch den Ursprung auf Höhe des Meeresspiegels aber sehr beeindruckenden Bergkette, die das flache Gebiet der Sahara und der großen Salzseen vom fruchtbaren Norden trennt.

Wir wollen die Berge bei Sened überqueren, erfahren aber, dass die Piste gerade asphaltiert werden soll – Vollsperrung. Doch ein kurzer Klön mit den Bauarbeitern ergibt, dass zwar alle Vorarbeiten fertig sind, die Asphaltmaschinen jedoch frühestens in drei Tagen anrollen werden. Start frei für uns, die ebenmäßig planierte Piste ist mit einer dicken Kalksandschicht überzogen, trotz gewaltiger Staubentwicklung ist die Strecke gut fahrbar. Unterwegs noch ein Stopp in Alt-Sened, einem jahrtausendealten verlassenen Berberdorf, dessen Behausungen tief in die Felsen gegraben wurden.

Die Piste steigt steil bergan, die Kurven sind eng und ungesichert, die Ausblicke fantastisch. An einem klaren Tag wie heute reicht der Blick nach Süden bis zu den Dünenfeldern der Sahara, nach Westen über die Salzseen bis nach Algerien, und im Osten ist am Horizont die Küste des Mittelmeeres bei Djerba zu erahnen. Oben auf der Höhe gibt es das im Staub erkämpfte »Passfoto«, dann führen die engen Kurven der Nordseite nach Gafsa.

Im Palace Hotel wird angeregt diskutiert. Die meisten wollen natürlich den von uns bezwungenen Sened-Pass selbst befahren, jene, die den Berg schon erklommen haben, liebäugeln mit einem Abstecher in die Wüstenmetropole Douz. Der ist aber nur möglich, wenn auf die Durchfahrt des größten Salzsees Afrikas, des Chott el Djerid, verzichtet wird. Schwierige Entscheidungen, also gibt es wieder mehrere Gruppen, trotz der tollen Landschaft kann aus Zeitgründen nur eine Strecke gefahren werden.

Uns treibt es nach Douz. Ein Kaffee im Café Sahara ist Pflicht, schließlich ist es seit ewigen Zeiten Treffpunkt aller, die aus der Wüste kommen oder in die Wüste fahren. Klar, dass die »Neckermann-Düne«, jener Sandberg, der den Bustouristen einen ersten Überblick über das Sandmeer gibt, erklommen werden muss. Für manche Fahrer der erste Kontakt mit der Wüste überhaupt.

Nach dem obligatorischen Marktbesuch füllen wir die Tanks bis zum Stehkragen, der Chott el Djerid wird untenrum umfahren, was 180 asphaltierte Kilometer durch Sand- und Salzwüste bedeutet und mehr als nur einen Hauch Sahara vermittelt. Die ständigen Schilder »Camel-Crossing« bekommen plötzlich einen tieferen Sinn, gleich eine ganze Herde Dromedare springt unvermittelt vor die Motorräder. E

in Stopp an einer Sandrosenmine zeigt uns, wie die beliebten Souvenirs aus Sand, Salz und Wasser in hunderten Jahren entstanden und mühsam gewonnen werden. Manche nutzen die Gelegenheit, selbst in die Grube zu steigen und die Wüstenrosen höchstpersönlich mit dem Spaten zu ernten.

Eine kurze Teepause im Beduinencafé, dann geht es weiter entlang der algerischen Grenze. Mitten im Nirgendwo eine Polizeikontrolle: Freundlich, aber bestimmt werden die Pässe kontrolliert und penibel registriert. Wir erhalten wichtige Anweisungen: »Wenn ihr mal von der Straße runter müsst« – der Polizist zeigt auf seinen Hosenstall –, »bitte nur auf der rechten Seite. Denn links der Straße ist Algerien, die fangen euch weg.« Tatsächlich verläuft unser Weg über mehr als 60 Kilometer auf der Grenzlinie zum Nachbarstaat, und ebendahin sollen wir uns nicht verirren.

Ob wir wirklich nicht vom Weg abgewichen sind, überprüft eine zweite Kontrolle am Ende der Strecke – man will hier auf Nummer Sicher gehen. Müde erreichen wir im letzten Abendlicht das Hotel in Touzeur.

Die anderen haben nicht weniger erlebt. Nach der Überquerung des Chott el Djerid über den fast 100 Kilometer langen Damm haben einige einen Landcruiser gemietet und einen Abstecher zu den »Star Wars«-Filmkulissen gemacht. Die Hollywood-Macher haben zwischen Nefta und Touzeur den Ort gefunden, der ihrer Meinung nach einem fremden Planeten sehr, sehr nahe kommt.

Einen letzten Kontakt zur Sahara bietet die Durchfahrt durch den Chott el Fajal, den tiefstgelegenen Salzsee Tunesiens. Wir fahren etliche Kilometer unter dem Meeresspiegel und erleben am gleißend weißen Horizont einige interessante Lichtspiegelungen.

Hinter der Oase Chibikki windet sich die Straße um fast 330 Meter steil nach oben zur Bergoase Tamerza. Hier haben in den 1960er Jahren unglaubliche Regenfluten das alte Dorf weggerissen, nur noch Ruinen stehen. Hinter Tamerza zweigt der Weg ab zur Schlucht von Mides.

Unmittelbar an der algerischen Grenze hat ein kleiner Bach ein Bett in den Felsen gefräst. Das Wasser speist eine kleine Oase, in der Datteln und Gemüse angebaut werden. Das uralte Dorf am Ende des hübschen Tals ist Heimat einiger eifriger Händler und für uns der Ort einer willkommenen Pause. Eine Erfrischung, ein paar Kristalle gekauft und weiter geht die Fahrt durch die Halbwüste bis Redejef.

Zwischen Redejef und Metlaoui wird im großen Stil Phosphat abgebaut, Begegnungen mit Arbeitsmaschinen der ganz großen Sorte sind an der Tagesordnung. Den Warnschildern »Sortie de Camions« sollte man aus eigenem Interesse unbedingt Beachtung schenken.

Über Feriana führt der Weg nach Le Kef, wo eine mittelalterliche Festung über dem Stadtkern wacht. Ein idealer Ort, um durch die Burgfriede hindurch zu erleben, wie der Feuerball der Sonne hinter den Bergen Algeriens versinkt. In der ehemaligen Kaserne unterhalb der Burg entstanden einige urgemütliche Cafés, wo wir den Tag beim anerkannt besten Cappuccino Tunesiens ausklingen lassen.

Der letzte Fahrtag weckt Heimatgefühle. Der Norden Tunesiens erinnert mancherorts an deutsche Mittelgebirge, einige Sträßchen wirken wie ein Stück Schwarzwald. Die Ruinen von Bulla Regia zeigen, dass die reichen Römer ihre Villen zum Teil unterirdisch bauen ließen, so blieb die untere Sommerwohnung in der Gluthitze wunderbar kühl. Die unterirdische Bauweise schützte auch weitgehend vor Verfall, viele der prächtigen Wohnungen sehen aus wie erst vor kurzem verlassen.

Eine Pause am Mittelmeer lässt ahnen, dass das Abenteuer Tunesien zumindest fahrerisch in die letzte Phase geht. Die Entfernungsangaben nach Tunis werden zweistellig, der Verkehr nimmt zu. In heftigstem Feierabendgewühl erreichen wir die tunesische Metropole und sind zumindest verkehrstechnisch wieder in der Realität der Großstadt angekommen.

So bleiben am nächsten Morgen die Motoren kalt, als es zur Besichtigung der Ruinen Karthagos geht. Mit vier gemieteten Taxis lassen sich die allesamt im heutigen Stadtbereich liegenden Altertümer entspannter erreichen, als vor Ort in ständiger Sorge um die geparkten Motorräder zu sein. Karthago ist nicht nur für die Lateiner in der Gruppe ein weiterer Höhepunkt: Ob das Amphitheater mit den Löwenkäfigen oder die alten Wohnungen der Karthager, eine solche Konzentration gut erhaltener römischer Stätten dürfte wohl einmalig sein. Unser letzter Nachmittag auf dem Boden der ehemaligen römischen Kolonie »Africa proconsularis« gehört einem Besuch in den Souks von Tunis.

Deren Gänge sind nicht nur voll mit Nippes, Unnötigem und Sinnvollem, sondern auch fürchterlich verschlungen. Keinem von uns gelingt es auf Anhieb, den Bummel durch die Gassen an der Stelle zu beenden, wo es eigentlich geplant war. Der Zoll entlässt uns schnell aus dem Hafen, dafür hat die Fähre nach Rom ziemlich Verspätung, zu allem Überfluss rammt sie noch ein chinesischer Frachter. Mit der Folge, dass unser Schiff erstmal auf Schäden untersucht wird, was für zusätzliche Verzögerung sorgt.

Doch auf der nächtlichen Fahrt legt der Kapitän »die Hebel auf den Tisch« und schafft es, den größten Teil der verlorenen Zeit wieder reinzuholen. Dennoch erreichen wir Rom im dicksten Berufsverkehr und müssen uns unseren Weg über »Rollerspuren« und durch wagemutige Abbiegemanöver erkämpfen. Halt auf Römerart: Kein Problem, diesen Fahrstil haben wir schließlich in Palermo und Tunis gründlich geübt.

Anzeige

Anzeige

TOURENFAHRER-Newsletter

Mehr frische Infos und Angebote finden Sie im TOURENFAHRER-Newsletter.

Jetzt registrieren