TOURENFAHRER Scouting-Tour 2012 »Kuba«

Cuba libre – wohin geht die Reise?

Jenseits aller Revolutions-Romantik ist Kuba ein faszinierendes Land, von dem niemand weiß, ob und wie es sich in den nächsten Jahren verändern wird. Wir nutzten die einmalige Chance, die größte Karibikinsel mit dem Motorrad zu durchstreifen. Und fanden dabei die perfekte Destination für die nächste TF-Leserreise.

Es gibt nur wenige Reiseziele, die sich so stark über ihren Mythos definieren wie Kuba. Nicht erst seitdem sich der zügellose Kapitalismus weltweit diskreditiert hat, genießt der sozialistische Inselstaat einen speziellen Sympathiebonus. Der ungebrochene Sex-Appeal Ché Guevaras und der todesmutige Trotz gegen den übermächtigen Nachbarn USA verleihen dem Regime Fidel Castros auch im sechsten Jahrzehnt einen besonderen Charme, dem nicht nur verträumte Altlinke in den westlichen Industriegesellschaften erliegen.

Es hat etwas vom Kampf Davids gegen Goliath, der die kubanische Revolution seit jeher begleitet. Dabei wissen Historiker, dass der Rechtsanwalt und Bauernsohn Fidel Castro keinesfalls als überzeugter Sozialist angetreten war. Vielmehr trieb ihn die Blockadepolitik der USA in die allzu bereitwilligen Arme der Sowjetunion. Diese alimentierte die kubanische Wirtschaft über drei Jahrzehnte hinweg, ohne diese jemals auf den Stand der Neuzeit zu bringen. Wie auch? Wurstelte man selber doch im Rhythmus der Fünfjahrespläne dem Untergang entgegen.

Als mir Edelweiss-Bike-Travel-Geschäftsführer Rainer Buck erzählte, er wolle eine Scouting-Tour auf Kuba wagen, war ich spontan begeistert. Gehört doch die größte Insel der Karibik zu den wenigen weißen Flecken für Motorradreisende. Selten zuvor in den fast 40 Jahren, die ich mit dem Motorrad unterwegs bin, war ich vor dem Start so gespannt, ja fast nervös. Gehöre ich doch einer Generation an, die in ihrer Jugend das Tagebuch Ché Guevaras verschlungen und stets das Schicksal des Castro-Regimes mit Aufmerksamkeit verfolgt hat.

Wie wird es sich anfühlen, mit einer 20.000 Euro teuren Harley-Davidson Road King dieses vom Sozialismus geprägte Land zu bereisen? Werden wir uns völlig frei bewegen können? Erleben wir Menschen, die von der Allmacht der Staatssicherheit eingeschüchtert sind? Werden wir das Abbild eines Polizeistaats sehen, die Beklemmung eines autoritären Systems zu spüren bekommen? Wer das »Vergnügen« hatte, als westlich geprägter Mensch durch die DDR zu reisen, kann nachempfinden, was mich im Landeanflug auf Havanna bewegte.

Unser dunkelhäutiger Taxifahrer lenkt leider keinen 57er-Chevy, sondern einen mickrigen Peugeot, dessen Federung so ausgeleiert ist, wie es die guten alten Blattfedern eines Chevrolets niemals sein könnten. So geht es holpernd und krachend durch stockfinstere Straßen, bis wir endlich vor unserem Hotel am Rande der Altstadt ankommen.

Im Laufe des Abends treffen alle Teilnehmer der Scouting-Tour, mit denen wir die nächsten zehn Tage verbringen werden, ein. Neben vier netten Österreichern, denen man nicht unbedingt auf Anhieb ein Faible für Ché-Guevara-Romantik ansehen würde, ein Paar aus Dresden. Nennen wir sie Michael und Deloris (die in der DDR beliebten Mädchennamen spiegelten ja nicht selten die Sehnsucht nach Freiheit und Exotik wider). Mit welcher Offenheit die beiden, die es als selbstständige Kleinunternehmer in der DDR gewiss nicht leicht hatten, dem realen Sozialismus Kubas begegnen, zeugt von erstaunlicher Weltoffenheit. Natürlich bleibt es nicht aus, dass sie sich bisweilen an ihre eigene Vergangenheit erinnert fühlen.

Wenn realer Sozialismus etwas geschafft hat, dann die Förderung einer speziellen Mentalität. In Kuba vor allem in den staatlichen Hotels und Res­taurants spürbar. Am Geldwechselschalter im Hotel in Havanna wartet vor mir geduldig ein Japaner in gebührendem Abstand. Links daneben lauert ein leicht blasiert dreinschauender recht kräftiger Mann. Ich versuche gerade dessen Funktion zu ergründen, als er mit einem energischen Schritt auf den Japaner zugeht und diesen mit schwungvoller Geste Richtung Bauch glatte 20 Zentimeter zurückschiebt. Die Distanz zum Geldschalter beträgt nun geschätzte zwei Meter. Offensichtlich das von der Obrigkeit gewünschte Normmaß.

Einwechseln dürfen Touristen den »Kuk«, CUC, den konvertiblen Peso, der den US-Dollar als Zweitwährung abgelöst hat. Ein genialer Streich der Regierung. Denn so kamen Millionen illegal gehorteter Dollar endlich in den wirtschaftlichen Kreislauf. Am Zweiwährungssystem, das gleichzeitig auch ein Zweiklassensystem impliziert, hat dies natürlich nichts geändert.

Wer von Auslandskubanern oder Touristen CUC erhält, dem eröffnen sich ganz andere Möglichkeiten. Wer sein Leben ausschließlich mit kubanischen Pesos fristen muss, ist eine arme Sau. Oder ein »armer Hund«, wie es selbst unser regimetreuer Stadtführer in Havanna im perfekten, leicht sächsisch eingefärbten Deutsch erzählt. Denn viele Waren, ob Klobrillen oder Handys, Nike-Schuhe oder Levis-Jeans, aber auch anspruchsvollere Lebensmittel gibt es nur für konvertible Pesos.

Dass vor allem die Bewohner der Millionen-Metropole Havanna eher nicht von diesem System profitieren, wird bei zwei ausgedehnten Stadterkundungen deutlich. Führt uns die offizielle Rundfahrt vor allem in das res­taurierte Viertel der Altstadt, das wirklich viele wunderschöne Winkel und Stadtpaläste bereithält, so erleben wir bei unserem privaten stundenlangen Fußmarsch durch die Altstadt und entlang der weltberühmten Uferstraße, dem Malecon, den leibhaftigen Zerfall. »Da bräuchte es schon einige Schneiders«, kommentiert Michael die maroden Viertel in Anspielung auf den Baulöwen Jürgen Schneider, der Leipzig mit großem Enthusiasmus und ebenso großer krimineller Energie zu wunderbar restaurierten Gebäuden und Passagen verhalf.

Im krassen Gegensatz zur verfallenen Bausubstanz stehen viele Autos und Motorräder, die das Straßenbild zieren. Nicht nur einmal bewundern unsere Reisepartner aus Dresden perfekt erhaltene MZ, Simsons und Ural-Gespanne, alle mit den originalen Motoren, was sich von den alten US-Straßenkreuzern kaum sagen lässt. Viele wurden ihrer spritfressenden V8-Big-Blocks beraubt und mit fernöstlichen Diesel-Aggregaten ausgestattet.

Auf uns warten am nächsten Morgen fast nagelneue Harleys, die der dänische Partner von Edelweiss Bike Travel per Übersee-Container für drei Monate ins Land gebracht hat. Danach müssen alle Maschinen wieder ausgeführt werden. Wir starten im einstigen Reichenviertel Miramar, wo der wertvolle Container einen sicheren Platz gefunden hat.

Der beißende Diesel-Mief der Großstadt liegt hinter uns, und wir gleiten unter Palmen gen Westen. Ja, so hatten wir uns das während des elfstündigen Fluges erträumt: Den lauen Fahrtwind im Gesicht, das schnorchelnde Brabbeln des V2-Motors im Ohr, genießen wir den Blick auf Palmen und Meer. Die hin und wieder auftauchenden Plattenbauten, Erbe der DDR-Wirtschaftshilfe, können unsere Laune nicht trüben.

Motorrad fahren auf Kuba ist zwar nicht wirklich aufregend, jedenfalls nicht, wenn man den sportlichen Kurvenspaß sucht. Aber wie immer auf Reisen, bietet das Motorrad die Chance, Land und Leute hautnah kennen zu lernen. Unserem Tourguide gelingt das leider im wahrsten Sinne des Wortes, als ihm in Viñales ein Kind ins Vorderrad läuft. Der fünfjährige Junge erleidet einen komplizierten Beinbruch und muss in eine Spezialklinik nach Havanna gebracht werden. Die Eltern, die den Unfallhergang mitbekommen haben, versuchen in keinem Moment, dem ausländischen Biker die Schuld anzu- hängen, erkennen an, dass er langsam gefahren ist und das auf die Straße rennende Kind nicht rechtzeitig wahrnehmen konnte.

Die Situation hätte weiß Gott auch feindseliger verlaufen können, mag aber durchaus typisch sein für die Friedfertigkeit der Kubaner. So erschreckend der Vorfall auch ist, es soll die einzige brenzlige Situation bleiben. Der Verkehrsbetrieb mutet anarchisch an, er ist aber gleichzeitig von einer ungewöhnlich rücksichtsvollen Gangart geprägt, wie man sie wohl in keinem anderen Land dieser Breitengrade antrifft. Man verspürt eigentlich nirgends so etwas wie Aggressivität. Diese Gelassenheit scheint sich sogar auf die Tiere zu übertragen. Es wimmelt zwar von Hunden, aber nicht einmal lassen sich die Vierbeiner aus der Ruhe bringen.

Viñales gehört wegen seiner Lage inmitten pittoresker Bergkegel, »mogotes« genannt, zu den bevorzugten Reisezielen der Insel. Zwischen den vor Jahrmillionen entstandenen Kalkbergen, die von Tropfsteinhöhlen durchlöchert sind, erstrecken sich Plantagen, deren Endprodukt zwar nicht die Umsatzgrößen des allgegenwärtigen Zuckerrohrs erreicht, dafür aber seit Hemingways Zeiten viel zum Ruhme Kubas beiträgt: Zigarren in allen erdenklichen Größen und Qualitätsstufen.

Es ist Januar, und die Ernte der gut einen halben Meter langen Blätter steht erst noch bevor. So sind die grauen Hütten mit ihren Palm- oder Wellblechdächern, in denen die Blätter zum Trocknen aufgehängt werden, fast noch leer. In den Ecken, verborgen unter Palmblättern, fermentiert noch die Ernte aus dem Vorjahr. Gleich daneben in Papier eingerollte Bündel fertiger Zigarren. Zehn Stück kosten 20 CUC (ca. 18 Euro). Offiziell dürfen nur Rauchwaren aus dem staatlichen Handel mit Banderole ausgeführt werden, trotzdem floriert der Handel mit den in Reisebussen anrollenden Touristen.

Auch ich finde noch ein Plätzchen in den Ledertaschen des Road King. Als ich am Abend feststelle, dass die »Illegalen« wie eine Mischung aus Kuhstall und Heuschober riechen, bin ich doch sehr enttäuscht. Erst Tage später, als ich in einem staatlichen Zigarrenladen eine Cohiba (Stückpreis 24 CUC!) genießerisch an die Nase führe, um festzustellen, dass die genauso duftet, bin ich beruhigt.

Die Autobahn südlich von Havanna ist teilweise achtspurig, was auf ihre Zusatzfunktion hinweist, nämlich die als Airstrip für Militärmaschinen. Der Kalte Krieg lässt grüßen, zählt im Übrigen ja noch immer zum Mythos, der das marode Land zusammenkittet. Alle paar hundert Meter hat der Reisende die Möglichkeit, seine Spanischkenntnisse aufzufrischen. Parolen, Parolen, Parolen.

Murmel ich die ers­ten Tage noch unverdrossen die Phrasen der nicht enden wollenden Revolution im warmen Fahrtwind vor mich hin, so mutiert der Spaß ab dem vierten Tag unweigerlich zur Gehirnwäsche. Wie muss es da erst den Menschen ergehen, die das seit 53 Jahren tagtäglich erleben? Einer der beliebtesten Sprüche lautet, »Man kann immer mehr schaffen«, oder »Man kann stets einen Schritt weiter gehen«. Warum machen die das dann nicht, frage ich mich angesichts der Tristesse in den Dörfern, die wir durchqueren.

Einer der Kubaner, die uns auf der Tour begleiten, weiß Antwort: »Kuba ist Jahrzehnte von der Sowjetunion alimentiert worden. Die Kubaner sind es wiederum gewöhnt, vom Staat alimentiert zu werden, oder von ihren Verwandten im Ausland. Da fehlt es ganz einfach an Antrieb. Nimm die Landreform. Jeder kann ausreichend Land bekommen, um sich und seine Familie zu ernähren, doch die wenigsten nehmen dieses Angebot an.

Stattdessen wachsen die Elendsviertel in Havanna.« Die Landarbeit ist ja auch ganz schön mühselig, denke ich beim Anblick der unzähligen Ochsengespanne, die nicht nur mittelalterliche Pflugscharen, sondern auch steinzeitliche Transportschlitten ziehen, wie ich sie bisher nur aus »Fred Feuerstein«-Comics kannte. Dass wir diese musealen Erscheinungen auch immer wieder auf der Autobahn haben, entbehrt nicht eines gewissen Reizes.

Während die meist schnurgeraden Landstraßen mit ihren endlosen Schlaglöchern vor allem auf Bandscheiben und Gemüt schlagen, bieten die so genannten Autobahnen ganz viel Abwechslung. Schnuckelige kleine private Restaurants haben unmittelbar neben der Standspur ihre liebevoll eingedeckten Tische platziert, Bauern bieten an winzigen Ständen ihre Früchte an, Kühe kreuzen unvermittelt die Bahnen, Reiter und Radfahrer teilen mit uns friedlich den Weg. An Brücken nimmt das Leben Jahrmarkts-Charakter an, weshalb wir vor jeder das Tempo drastisch drosseln.

Auch Wenden ist erlaubt, und dies nicht nur à la DDR für die Polizei. So steuern auch wir des Öfteren eine Raststätte auf der Gegenseite an. Für 25 Cent gibt es hier hervorragenden kubanischen Espresso, was in den Hotels und Restaurants auch für den vielfachen Preis eher nicht der Fall ist. Mit der Bemerkung »Spinnst Du? Auf Kuba gibt es den besten Kaffee der Welt« hatte ich noch daheim den Nescafé aus dem Gepäck meiner Allerliebsten entfernt, um mich einen Tag später angesichts des spülwasserähnlichen Gebräus im Hotel zu blamieren. Der Espresso an den Autobahn-Raststätten hat mich zumindest wieder etwas rehabilitiert. Die vorm Rückflug erstandenen Tassen mit der Inschrift »Café de Cuba« zieren nun unsere Kaffee-Bar.

Die allgegenwärtigen Ochsen- und Pferdegespanne und die Unmengen Radfahrer bevölkern seit Anfang der 90er Jahre wieder verstärkt Kubas Straßen. Denn mit dem Wegfall der sowjetischen Hilfe brach die Treibstoffversorgung völlig zusammen. Auch blieb der Nachschub an Fahrzeugen und Maschinen aus, was Cas­tro veranlasste, über den »osteuropäischen Schrott« zu lästern. Die Ikarus-Busse aus Ungarn bräuchten auf sechs Kilometer eine Gallone Diesel und würden die Städte verpesten. Das Gleiche galt für die 90.000 Traktoren, die kurzerhand durch Ochsengespanne ersetzt wurden, was erwartungsgemäß nicht wirklich der Plan-erfüllung half.

1993 wurden 70 Prozent der Zuckerrohrernte per Hand eingebracht. Der öffentliche Verkehr kam gänzlich zum Erliegen, und der »máximo lider« propagierte Pferdewagen und Fahrräder, was ja schließlich auch der Umwelt und Gesundheit dienlich sei. Dem können wir eigentlich nur beipflichten, denn um wie viel angenehmer ist es, diese archaischen Fortbewegungsmittel, die noch 20 Jahre später Kubas Straßen dominieren, zu überholen, als in einer riesigen schwarzen Wolke hinter einem der infernalisch stinkenden Lastwagen oder Busse Atembeklemmungen zu bekommen. Die gibt es nämlich nach wie vor, mittlerweile befeuert vom billigen Öl des Kubafreundes Hugo Chávez, dem lautstarken Staatspräsidenten Venezuelas.

Am Ostrand der Zapata-Halbinsel durchqueren wir…

Den vollständigen Artikel lesen Sie in der Ausgabe TF 04/2012. Zum Archiv

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